Der alte Baum und das Licht
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Cuglieri ist umgeben von Olivenbäumen. Ihr silbrig-grün schimmerndes Laub ist in der Landschaft allgegenwärtig. Es erfreut schon weitem das Auge der Besucher, die auf den auf 479 Metern über dem Meer gelegenen Ort zufahren. EIN Baum inmitten dieser vielen Olivenbäume ist etwas ganz Besonderes. Seit mehr als tausend Jahren steht er unterhalb von Cuglieri im Gewann Tanca Manna. Die Rede ist vom Albero Millenario, der im Jahr 2014 auf nationaler Ebene zum Baum des Jahres gewählt wurde (genauer: den Preis „premio della critica nazionale ”Amici degli alberi” verliehen bekam).
Zur Zeit der hier gezeigten Aufnahmen, im Februar, hingen noch die blau-schwarzen Früchte an den Zweigen. Sie sind kleiner als die Oliven, die man im Laden kaufen kann, denn bei diesem Baum handelt es sich um die Wildform des Olivenbaumes, ein Olivastro, der wissenschaftliche Name lautet Olea europaea, subspecies Oleaster. Die Früchte wilder Olivenbäume werden nicht geerntet.

Die bis zum Boden reichenden Zweige umhüllen den Stamm komplett. Dass der Baum sehr groß ist, sieht man schon auf den ersten Blick, die Höhe wird je nach Quelle mit 16,5 bis 20 Metern angegeben. Ein Gespür für das sagenhafte Alter dieses Baumriesen bekam ich aber erst, als ich unter das Laubdach der Zweige schlüpfte. Ich fühlte mich, als hätte ich einen weiten Raum betreten, der von einer hohen, grünen Kuppel beschützt wird und in dessen Mitte der mächtige Stamm ruht. Im Laufe der Jahrhunderte hat er beim Wachsen Steine umschlungen. Wie kräftige, in den Boden greifende Füße wirken die Wurzelausläufer, die den Stamm in der Erde verankern.

An die 400 Baumriesen sind für Sardinien in einem offiziellen Verzeichnis eingetragen. In diesem Verzeichnis wird der Umfang unseres Albero Millenario mit 10 Metern angegeben. Doch das beschreibt ihn nur zur Hälfte. Denn beeindruckend ist nicht die Zahl 10 sondern die bizarre, vielfältig strukturierte Gestalt des Stammes. Sie erinnert mit Knoten, Ausbuchtungen und Einsenkungen je nach Blickwinkel an eine moderne Skulptur oder an das Gesicht eines uralten, weisen Wesens. Manch einem kommen auch die Ents aus „Herr der Ringe“ in den Sinn 🙂 .
Ist es möglich, die starke Stimmung – Bewunderung, Nachdenklichkeit, Respekt vor der Natur – die dieser Baum vermittelt mit der Kamera so einzufangen, dass dies auch aus den Fotos spricht? Welches Licht und welche Brennweiten sind hierfür am besten geeignet? Um möglichst viele Lichtsituationen auszuprobieren, habe ich den Baum in diesen Februartagen viele Male besucht.
Sehr diffuses Licht – dickster Nebel, Schietwetter, Regen – ist sicherlich die erste Wahl, um den Baum als Ganzes angemessen ins Bild zu setzen. Nur so erhalte ich die Zeichnung im dunklen Stamm gegen den sogar bei diesem Licht noch sehr hellen Hintergrund. Ein Beispiel hierfür zeigt das Bild Nebelstimmung weiter oben. Der Nebel gibt dem Baum etwas Geheimnisvolles. Bei prallem Tageslicht dagegen ist der Stamm gesprenkelt mit vielen kleinen hellen Flecken, die die Sonne durch das Laub hindurch schickt. Die Gesamtform verliert sich im unruhigen Licht-Schatten Mosaik.

Frühes, diffuses Morgenlicht und die komplementäre Lichtsituation am Abend waren vom Kontrastumfang her zwar grenzwertig, aber gerade noch zu bändigen. Das klappte am frühen Morgen in einem Zeitfenster von circa 15 Minuten. Für das letzte Abendlicht war die „gute“ Zeitspanne nur eine Minute lang. Auch mit diesem Licht kommen die Details plastisch heraus. Die Wirkung ist aber eine ganz andere, lebendigere (?) als die der Nebelfotos.
Zwei Wochen lang habe ich außer mit unterschiedlichen Lichtsituationen auch mit verschiedenen Brennweiten herumexperimentiert und am Ende einen Bereich von 17-35 mm @f8-11 als Optimum ausgemacht. Zwar ist es verlockend, zum Herausarbeiten von Details das Tele zu nehmen. Damit reduziere ich aber zwangsläufig die Schärfentiefe. Hinzu kommt, dass zusätzlich durch die telebedingte Stauchung der Perspektive Struktur verlorengeht. Für mich ist darum das Weitwinkelobjektiv auch für Details die bessere Wahl, unter Umständen in Verbindung mit einer nachträglichen Ausschnittvergrößerung. Aber das ist natürlich meine subjektive Sicht und kein „so muss man’s machen!“-Statement.
Ein Thema für sich ist der Weißabgleich. Unter dem dichten Laubdach zu fotografieren ist ungefähr so, als wollte man in einem Zelt aus schwerer, grüner Leinwand farbrealistische Aufnahmen machen. Es liegt ein grüner Farbstich über allem, den die Kamera deutlicher festhält, als ihn unsere Augen empfinden. Wohl, weil das Gehirn einen Farbstich „der nicht dahin gehört“ korrigiert.
Ein sauberer Weißabgleich via Graukarte oder Colorchecker war aber auch nicht das, was ich wollte. Ein bisschen Farbstimmung, entsprechend der gerade vorhandenen Farbtemperatur des Lichtes draußen – Goldene Stunde, kalter, Nebel, Abendrosa – sollte es schon sein. Also habe ich mich dafür entschieden, ausgehend von der Einstellung Auto WB in der Kamera, beim Entwickeln der RAW-Daten behutsam einen „gefühlten“ Weißabgleich einzustellen. Das Foto als Interpretation des Gesehenen. Eine „richtige“ Farbwiedergabe gibt es, meine ich, sowieso nicht. Mit der gewählten Farbtemperatur transportiere ich immer meine Stimmung bei der Aufnahme, in der Hoffnung, dass das Bild in der Lage ist, diese Stimmung dann auch beim Betrachter auszulösen.
Natürlich bin ich deshalb sehr an einer Rückmeldung und Diskussion zu den in der Galerie unten zusammengestellten Fotos interessiert. Wird beim Anschauen etwas von der Atmosphäre, die dieser Baum ausstrahlt spürbar? Die Bilder sind nach Lichtqualität (Nebel, abends, früh morgens) geordnet, vier Schwarzweiß-Ausarbeitungen bilden den Schluss. Alle RAW-Daten sind mit dem Open Source Programm Darktable (mehr Informationen und Download unter www.darktable.org) entwickelt. Danke Torsten für den Tipp, ein tolles Programm, für mich seit kurzem DIE Alternative zum LR! Es hat mich begeistert, weil es diese wirklich schwierigen Kontrastverhältnisse exzellent bewältigt. Meine derzeitigen Favoriten sind die Nr. 1, Nr. 3 und Nr. 18. Und welche gefallen dir?
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Liebe Michaela,
den Baum kenne ich, du warst mit uns einmal dort. Das ist wieder einmal ein Motiv, an dem man sich so richtig abarbeiten kann und es mehrmals aufsuchen muss. Unterschiedliche Tageszeiten und Lichtstimmungen und natürlich auch die Frage der Brennweite. Ein interessanter Aspekt, Nahaufnahmen mit einem Weitwinkel zu machen. Meine Favoriten sind die Nr. 1, 3, 12 und 21.
Lieber Peter,
vielen Dank für dein Feedback. Und wieder ist ein SW-Bild unter den genannten Favoriten. Das freut mich sehr.
Liebe Grüße
Michaela
Hallo Michaela, wow! was für eine Serie. mich sprechen die SW-Bilder fast mehr an als die farbigen (was für ein Wunder!) 18 ist wohl die Umsetzung von 1 in SW, oder? Mir gefällt auf 18 das Licht und die Bildaufteilung besser als auf 17, da ist zwar die Tiefe durch die Diagonale, aber in 18 faszinieren mich auch die herabhängenden Äste, auf die sich der „Alte Herr“ zu stützen scheint. Und der Konrast von Hell und Dunkel bringt zusätzlich Dynamik ins Bild. Daneben ist 22 noch mein Favorit, auch da ist es die Lichtstimmung im Hintergrund, die ich sehr schätze, und meiner Meinung nach kommen die Strukturen in SW besser zur Geltung.
Es gibt aber auch ein Farbbild das mich total begeistert: das ist das Makro von den blauen Oliven, das leuchtend strahlende Blau vor dem diffusen Hintergrund ist sehr schön.
Ich verstehe dich sehr gut, dass es dich immer wieder zu diesem Baum hinzieht.
Liebe Grüße Michael
Lieber Michael,
vielen Dank für dein Feedback. Ja, das 18. Bild in der Thumbnail-Ansicht ist die SW-Umsetzung von Bild 1 und mir gefällt es in SW auch besser. Deine Analyse bzw. deinen Vergleich von Bild 17 und 18 finde ich interessant. So analytisch unter dem Aspekt Linienführung und Kontrast habe ich da noch gar nicht drauf geschaut. Danke! Ich habe mich mehr an den Gestalten und Gesichtern orientiert, die in den Fotos auftauchen.
Dass dir die SW-Bilder gefallen, wundert mich in der Tat nicht 🙂 .
Liebe Grüße
Michaela
… wäre gerne mal dabei um zuzuhören welche Geschichten sich die „Ulivi’s“ mit ihren Gesichtern und Formen zu erzählen haben …
Speziell gefallen mir die „Kerle“ Nr. 3 und 4 mit der schönen Abendstimmung. Prächtig ist Dir auch die Aufnahme der Nr. 10 mit der schlafenden Figur gelungen.
Du kennst ja meine Vorlieben immer zuerst nach Figuren und Formen Ausschau zu halten.
Liebe Margareta,
vielen Dank für deine Favoriten. Ja, ich kenne deine Vorlieben und in der Tat habe ich an dich gedacht, als ich bei jeder neuen Lichtstimmung auch wieder neue Formen und Figuren entdeckt habe.
Liebe Grüße
Michaela
Hallo Micha,
so ein majestätischer Baum! Für mich strahlen die Bilder Nr. 1 und Nr. 18 die Erhabenheit und Weisheit, die ein solcher Baum vermittelt, am besten aus. Beim Betrachten fühle ich mich direkt demütig und kann von Weitem, glaube ich, schon ein wenig nachempfinden, wie du dich in seiner Gegenwart gefühlt hast. Die Stimmung, die aus Bild Nr. 3 spricht, gefällt mir aber auch sehr gut. Dieses Licht!
Grüß den Guten von mir, wenn du ihn mal wieder besuchst! 🙂
Hallo Birte,
vielen Dank, dass du deine Stimmung beim Betrachten der Fotos mit uns teilst. Sicher werde ich den Alten von dir grüßen, wenn ich ihn wieder besuche. Mein Wunschlicht dafür wäre noch einmal Nebel oder Regen mit seeehr tiefliegenden Wolken. Dass wir so ein Wetter gerade nicht haben, finde ich aber auch nicht schlimm 🙂
Liebe Grüße
Micha
An den alten Knaben kann ich mich noch gut erinnern. Du hast ihn mir auf meiner ersten Sardinienreise gezeigt.
Meine Favoriten aus der Serien wären die Nummer 3 und 21. Als Sonnenauf- und -untergangsknipser begeistern mich die Farben (3) und die 21 ist in meinen Augen die Aufnahme, bei der die ganze Pracht am besten zur Geltung kommt.
Die s/w Varianten versetzen mich direkt nach Fangorn!
Hallo Helge,
vielen Dank auch dir für dein Feedback. Und auch bei deinen Favoriten ist ein Schwarzweiß-Bild dabei. Das finde ich toll, denn beim Zusammenstellen der Galerie hatte ich mir noch ernsthaft überlegt, ob die 4 Schwarzweiß-Ausarbeitungen auch wirklich „ankommen“ werden.
@versetzen mich direkt nach Fangorn: Hast du die Herr der Ringe Filme in Schwarzweiß angeschaut? 🙂
Liebe Grüße
Michaela
Olivenbäume sind ein lohnendes Objekt, kann mich da noch an den alten Olivenhain im Süden Sardiniens entsinnen. Am Besten gefallen mir die Nr. 3 mit den warmen Farben, die 5-2, wo die ganze Grösse und der Zelt-Effekt gut rüberkommen und in B&W die 21 – auch besser als das farbige Pendant. Einen sehr schönen Corona-Zeitvertreib hast Du Dir da ausgesucht. Man erkundet einfach mehr die nächste Umgebung in diesen Tagen.
Viele Grüsse,
Torsten.
Hallo Torsten,
vielen Dank für dein Feedback und deine Favoritenliste, es freut mich, dass auch ein Schwarzweiß-Bild darunter ist 🙂
Als Sardinien orangene Zone war, sollten wir uns „nur“ in einem Umkreis von 30 km um den Wohnort bewegen. Ich habe das überhaupt nicht als Einschränkung empfunden, weil es hier in der näheren Umgebung, wie du sagst, so viel zu entdecken gibt, dass ich auch nach vielen Jahren immer noch nicht alles gesehen habe.
Liebe Grüße
Michaela