{"id":7085,"date":"2021-05-24T15:33:04","date_gmt":"2021-05-24T15:33:04","guid":{"rendered":"https:\/\/fotoreiseblog.highlighttours.de\/?p=7085"},"modified":"2024-07-20T17:00:12","modified_gmt":"2024-07-20T17:00:12","slug":"mehr-muehlengeschichten-aus-sardinien","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/fotoreiseblog.highlighttours.de\/mehr-muehlengeschichten-aus-sardinien\/","title":{"rendered":"Alte Wasserm\u00fchlen \u2013 Geschichten von Verfall und Restaurierung"},"content":{"rendered":"\n
Zur Vollbildansicht der Fotos bitte jeweils Hineinklicken!<\/em><\/p>\n\n\n\n Die Kraft des Wassers wurde an den Fl\u00fcssen des Montiferru in den vergangenen Jahrhunderten an vielen Orten zum Mahlen von Getreide genutzt. Eine Kartierung von 2009<\/a> verweist auf ehemals 96 Kornm\u00fchlen in Gebiet Montiferru-Planargia-Marghine, viele davon rund um Cuglieri, Scano di Montiferru und Santu Lussurgiu. Auf meine Fragen nach \u00dcberresten der alten Getreidem\u00fchlen ist die h\u00e4ufigste Antwort \u201e da siehst du nichts mehr, die sind verfallen und \u00fcberwuchert.\u201c Doch manch einer wei\u00df noch, wo sich fr\u00fcher ein M\u00fchlrad drehte und beschreibt mir den Weg dorthin. Seit meine Neugier sich herumgesprochen hat, bekomme ich immer wieder Hinweise und lerne St\u00fcck f\u00fcr St\u00fcck mehr \u00fcber die Vergangenheit der M\u00fchlen.<\/p>\n\n\n\n Abmessungen und Mahlkapazit\u00e4t waren meistens bescheiden, unter anderem wegen der in der Trockenzeit zur\u00fcckgehenden Wassermenge der Fl\u00fcsse. Zwei Gr\u00fcnde erkl\u00e4ren das Verschwinden der M\u00fchlen: Durch den Bev\u00f6lkerungsr\u00fcckgang w\u00e4hrend der Auswanderungswelle nach Amerika im letzten Jahrhundert sank die Nachfrage nach frisch gemahlenem Mehl. Mit dem Beginn der industriellen Mehlproduktion in den 20er und 30er Jahren kam das endg\u00fcltige Aus f\u00fcr die alten M\u00fchlen. Einige wenige arbeiteten noch bis in die 50er Jahre, im darauf folgenden Jahrzehnt verstummten sie ganz. Ein 89-j\u00e4hriger Herr, mit dem ich am Wegesrand ins Gespr\u00e4ch komme, erz\u00e4hlt: \u201ein meiner Jugend in den 50er Jahren habe ich die Getreidem\u00fchle hier noch in Aktion erlebt. Aber nach dem Krieg sind viele von hier weggegangen und au\u00dferdem gab es dann das Mehl im Supermarkt zu kaufen ….\u201c<\/p>\n\n\n Marilena wei\u00df von einer M\u00fchle in der N\u00e4he ihres Gartens. Die Wegbeschreibung ist eindeutig, sie f\u00fchrt mich zum Fluss hinunter, so dass ich einfach nach Geh\u00f6r laufe und mich vom Rauschen des Wassers leiten lasse. Unten angekommen, ist der erste Eindruck: Die Natur umschlingt die alte M\u00fchle vollst\u00e4ndig. Haus und Efeu sind eine intensive Verbindung eingegangen. Um in das Geb\u00e4ude aus grauem Naturstein hineinzusehen, muss ich den Fluss auf ein paar Sprungsteinen \u00fcberqueren. Eigentlich kinderleicht. Aber mit Fotorucksack und Stativ springe ich etwas unbeholfener und hole ich mir doch nasse F\u00fc\u00dfe \u2013 macht nichts! Im Inneren ist alles in einem malerischen Verfall begriffen. Vom Dach sind nur die h\u00f6lzernen Balken \u00fcbrig geblieben. Es gibt drei R\u00e4ume, deren Funktion ich aber aufgrund der ungewissen Statik nicht genauer erkunden m\u00f6chte. Die Mahlsteine und etwas Antriebstechnik sind noch vorhanden. Mit viel Fantasie l\u00e4sst sich sogar erahnen, wie das gro\u00dfe, vertikale Wasserrad im Raum dahinter einmal ausgesehen hat. Der kleine Kanal, mit dem einmal Wasser von oben auf das M\u00fchlrad geleitet wurde, hat sich mit Erde und Laub gef\u00fcllt, ist aber gerade noch zu erkennen.<\/p>\n\n\n Bei einer Wanderung am Riu Sos Molinos treffe ich auf eine ziemlich gut erhaltene M\u00fchle, die als Station eines regionalen Wanderweges ausgewiesen ist. Die Pforte zum M\u00fchlengrund steht einladend offen, also schaue ich mich neugierig um. Vor der verschlossenen Eingangst\u00fcr des M\u00fchlenhauses ist ein Mahlstein ausgestellt. Daneben erkl\u00e4rt eine Schautafel die einfache Technik: \u201eSie basiert auf einem Schaufelrad aus Eichenholz, das horizontal unter dem einlaufenden Wasser angebracht ist. Die Vertikalachse des Rades dreht einen Mahlstein aus hartem Basalt. Auf diesem zerreibt ein analoger Deckstein das Getreide zu Mehl.\u201c Als ich um das Geb\u00e4ude herum gehe, entdecke ich an der R\u00fcckseite das vollst\u00e4ndige horizontale M\u00fchlrad und bekomme aus dem, was noch vorhanden ist auch eine vage Idee von dem System der Wasserkan\u00e4le zum Antrieb des Rades. Ein paar freche Efeutriebe schauen zwischen den Holzfl\u00fcgeln hervor.<\/p>\n\n\n Aufschlussreich sind die Informationen zur Geschichte der M\u00fchlen auf der Schautafel: \u201eAuf Sardinien lagen die Wasserm\u00fchlen des Mittelalters quasi exklusiv in den H\u00e4nden m\u00e4chtiger kirchlicher Einrichtungen, zum Beispiel Kl\u00f6stern. Denn nur diese konnten die Kosten f\u00fcr den Bau und die Unterhaltung aufbringen und sie hatten das absolute Wasserrecht. In der j\u00fcngeren Vergangenheit dagegen wurden M\u00fchlen von einem M\u00fcller bewirtschaftet. Ihm wurde ein festgelegter Anteil am Getreide f\u00fcr seine Arbeit abgetreten, so dass die Arbeit an der M\u00fchle ihm und seiner Familie einen Teil des Lebensunterhalts einbrachte. … Der M\u00fcller holte w\u00f6chentlich die festgelegte Menge Weizen, Gerste oder Mais bei seinen Kunden ab. Er transportierte das Getreide per Esel oder Pferd zur M\u00fchle, sch\u00fcttete es in den Trichter und startete das Mahlwerk. Ein Alarmmechanismus machte es ihm m\u00f6glich, die M\u00fchle w\u00e4hrend seiner Abwesenheit laufen zu lassen und zur\u00fcckzukommen, wenn der Mahlvorgang beendet war.\u201c<\/p>\n\n\n\n An der gegen\u00fcberliegenden Geb\u00e4udeseite kann ich durch ein kleines Fenster einen Ausschnitt des Innenraums einsehen. Viel ist im Dunkeln nicht zu erkennen, doch die Konturen eines gro\u00dfen Trichters zeichnen sich im Gegenlicht des dahinter liegenden Fensters ab. Ich mache ein Foto und freue mich, dass die Langzeitbelichtung mehr offenbart, als das blo\u00dfe Auge erkennen kann.<\/p>\n\n\n Guido und seine Frau Mariangela wollen in Eigeninitiative eine alte Wasserm\u00fchle auf ihrem Grundst\u00fcck wieder herrichten. Sie zeigen mir, was von der M\u00fchle noch vorhanden ist. Das ist nicht mehr viel. Etwas Besonderes ist, dass zwei Wasserzuf\u00fchrungen einen Hang herunter kommen. Eine Doppelm\u00fchle? Von den Geb\u00e4uden unterhalb des Hanges ist gerade noch die Struktur zu erkennen. Was die beiden sich vorgenommen haben, sieht nach einem Riesenberg Arbeit aus. Ein Mahlstein wird bei der Besichtigung vom Wildwuchs befreit, damit ich ihn fotografieren kann. Guido erz\u00e4hlt, dass sie beim Freir\u00e4umen des fr\u00fcheren Eingangst\u00fcrbereichs eine alte M\u00fcnze fanden und so das Baujahr der M\u00fchle absch\u00e4tzen k\u00f6nnen. \u201eFr\u00fcher hat man beim Bau \u00fcber der T\u00fcr eine M\u00fcnze eingemauert, als Gl\u00fccksbringer, damit das Geb\u00e4ude Bestand hat.\u201c<\/p>\n\n\n\n Auch zu den B\u00e4umen, die neben den M\u00fchlenfragmenten hoch hinaus gewachsen sind, wei\u00df er etwas zu berichten: \u201edamit alle zur M\u00fchle finden konnten, hat man fr\u00fcher hier in der Gegend ihren Standort mit diesen hochwachsenden Pappeln markiert. So hat jeder schon von Weitem gesehen, wo es lang geht.\u201c Jetzt schaue ich bei meinen M\u00fchlensuch-Exkursionen immer auch auf die B\u00e4ume drum herum. Die M\u00fchlen sind manchmal kaum noch auszumachen, die Pappeln schon.<\/p>\n\n\n Auf dem R\u00fcckweg zum Auto sehe ich am Fluss etwas, das ich n\u00e4her betrachten muss. Ich zw\u00e4nge mich durch das Gestr\u00fcpp uferabw\u00e4rts. Ist das etwa eine steinerne Bogenbr\u00fccke? Ja, die ist wohl aus der R\u00f6merzeit\u201c, vermutet Guido. \u201eWillst du sie fotografieren?\u201c \u201eIch w\u00fcrde gerne, aber sie ist so zugewachsen, dass man auf dem Foto nichts erkennen w\u00fcrde\u201c, sage ich. Daraufhin wird extra f\u00fcr mich der Wildwuchs um die Br\u00fccke herum abgesichelt, was mir fast ein bisschen unangenehm ist. \u201eReicht es dir so?\u201c. \u201eJa, danke sehr\u201c. Die Zagori-Assoziation ist nur sehr fl\u00fcchtig, aber sie ist da.<\/p>\n\n\n\n Es bleibt nicht bei einem D\u00e9j\u00e0 vu-Erlebnis von M\u00fchle und Bogenbr\u00fccke.<\/em> Etwas au\u00dferhalb von Cuglieri folge ich einem Hinweis zu einer anderen verfallenen M\u00fchle am Fluss. \u201eSteig \u00fcber den Zaun und geh \u00fcber die Br\u00fccke, von dort sind es nur ein paar Schritte bis zu dem alten M\u00fchlenhaus.\u201c Als ich vom Weg aus die Br\u00fccke sehe, bin ich mir nicht so sicher, ob sie mich wohl tragen wird. Sie tut.<\/p>\n\n\n<\/a>
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